Inwieweit spielen Stipendien an Ihrer Schule eine Rolle? Warum halten Sie das Thema für wichtig?
Die Stipendienberatung ist am Friedrich-List-Berufskolleg Hamm noch ein relativ junges Tätigkeitsfeld. Sie ist eingebettet in ein umfassenderes Konzept zur Talentförderung, welches den Ansatz des NRW-Talentscoutings aufgreift und bei dem SchülerInnen von engagierten LehrerInnen aus dem Team für Talentförderung zu mehr als nur Stipendien individuell und schulintern beraten werden.
Im Schuljahr 2019/2020 wurden die ersten SchülerInnen zu Stipendien beraten und haben sich auf Stipendienplätze beworben. Das Schülerstipendium RuhrTalente war für uns ein gut umsetzbarer erster Schritt und wir konnten direkt erste Erfolge verbuchen: Bereits im ersten Bewerbungsdurchlauf wurden drei unserer SchülerInnen bei den RuhrTalenten aufgenommen. Das hat enorm motiviert und auch das übrige Kollegium aufmerksamer auf unsere Stipendienberatung gemacht.
Die Nutzung der Vorschlagsrechte für die Studienstiftung des deutschen Volkes war dann der zweite Schritt.
Stipendien sind vor allem auch an Berufskollegs eine wichtige Möglichkeit, SchülerInnen ideell und finanziell zu fördern. Die Schülerschaft an dieser Schulform ist sehr heterogen und auch die soziale Herkunft bietet manchmal keine akademischen Netzwerke, die ein Studium in den Zielhorizont rücken und auch leichter gelingen lassen.
Stipendien verstehen wir als ein Instrument im Konzept unserer Talentförderung.
Wie haben Sie die Vorschlags- und Empfehlungskultur (bisher) systematisiert oder wie haben Sie vor dies zu tun?
An unserer Schule wird das gesamte Kollegium in das Vorschlagsverfahren einbezogen. Die unterrichtenden Lehrerinnen und Lehrer kennen ihre SchülerInnen am besten und sind besonders dazu in der Lage leistungsorientierte und engagierte SchülerInnen zu erkennen. Die Überleitung an die Talentberatenden/Stipendienberatenden erfolgt über interne Vorschlagslisten zum Ende des ersten Schuljahresquartals. Zu anderen geeigneten Zeitpunkten werden weitere Vorschlagsimpulse gesetzt, z.B. zu den Zeugniskonferenzen nach dem 1. und 2. Halbjahr, bei Lehrerkonferenzen, bei Klassenkonferenzen etc.
Zu Beginn sind Kollegen, unserer Erfahrung nach, teilweise zögerlich und unsicher, wen sie vorschlagen könnten. Im Gespräch machen wir immer wieder die Erfahrung, dass es besonders wichtig ist, den Gedanken, dass nur absolute „Überflieger“ mit einem Notenschnitt von 1,0 geeignet sein könnten, zu verdrängen und das Engagement mit in den Fokus zu rücken.
Auch bei den später nötigen Empfehlungsschreiben für Stipendien binden wir die Fach- oder KlassenlehrerInnen ein, da sie die Empfehlung am besten mit Beispielen und Erfahrungen unterstreichen können. Hierfür werden die entsprechenden KollegInnen unterstützend durch die Stipendienberatung begleitet.
Haben Sie eine Person, die für das Thema verantwortlich ist? Falls ja, wie wurde dies angeregt und angenommen und welche Auswirkungen hat dies auf die Stipendienkultur an Ihrer Schule?
Es wurde eine Beförderungsstelle für Talentförderung und Stipendienberatung geschaffen, welche ich seit Beginn des Schuljahres 2020/21 bekleide.
Der Impuls dazu kam direkt von der Schulleiterin, der dieses Thema selbst am Herzen liegt. Nicht zuletzt ist die Bedeutung, die die Schulleitung diesem Thema zumisst, wegweisend für die Akzeptanz und Unterstützung im gesamten Kollegium.
Als Teamleiterin des Teams für Talentförderung und Stipendienberatung stehe ich in Kontakt mit KlassenlehrerInnen und BildungsgangleiterInnen und bin dafür verantwortlich, das Konzept weiterzuentwickeln, zu evaluieren und das Thema Talentförderung und Stipendien in der Schule zu etablieren und zu systematisieren.
Langfristig wird die Talentförderung verbunden mit der Stipendienberatung sicher zunehmend dazu beitragen, Potentialorientierung und die ganzheitliche Wahrnehmung von SchülerInnen zu verstärken und Leistungen auch im Kontext der Lebenssituation zu würdigen.
Wie finden Sie potenzielle KandidatInnen? Worauf achten Sie? Wie sprechen Sie diese an?
Potenzielle KandidatInnen werden meist von ihren Klassen- oder Fachlehrern vorgeschlagen und an das Team für Talentförderung und Stipendienberatung übergeleitet. Der Impuls, SchülerInnen vorzuschlagen, wird regelmäßig gesetzt. Dabei diente uns zu Beginn der wirklich treffende Leitspruch von Stipendienkultur Ruhr als geeigneter Wegweiser, wer geeignete/r KandidatIn sein könnte: „Dieses Schimmern in der vorletzten Reihe. Wissensdurst und Tatendrang blitzen mir entgegen. Ich sehe es, ich sage es und zünde damit Gedankenfunken – ein Leuchtfeuer entfacht und erhellt Zukunftswege neu. Stipendien verändern Biographien.“ Verbunden mit diesem emotionalen Eindruck dürfte jedem/r LehrerIn klar sein, wer sich besonders für ein Stipendium und/oder die Begleitung durch das Team der Talentförderung eignet.
SchülerInnen können sich aber auch selbstständig beim Team melden. Dafür gibt es in jedem Klassenraum einen Aushang mit der Möglichkeit der Kontaktaufnahme.
Des Weiteren entstehen Anlässe zur Stipendienberatung als Ergebnis von Informationsveranstaltungen in den unterschiedlichen Bildungsgängen.
Wie gehen Sie dabei vor, jemanden aktiv (von Ansprache bis Zu- oder Absage) zu begleiten?
Wir begleiten die SchülerInnen partnerschaftlich mit persönlichen Gesprächen, die auch teilweise digital per Video über das von der Schule bereitgestellte Microsoft Teams stattfinden. Der digitale Weg erleichtet sogar das kurzfristige Zusammentreffen in einigen Fällen.
Wir informieren allgemein in Informationsveranstaltungen, geben Impulse, begleiten den individuellen Bewerbungsprozess durch regelmäßige Gespräche und leiten für gewisse Bewerbungsbestandteile auch an StipendienKultur Ruhr über, z.B. für Workshops zur Vorbereitung bestimmter Auswahlverfahren der Studienstiftungswerke. Über Zusagen freuen wir uns miteinander und im Falle einer Absage wird reflektiert, was als gewinnbringende Erfahrung trotzdem bleibt.
Wir beabsichtigen zukünftig zu unseren erfolgreichen Stipendiaten Kontakt zu halten, um für spätere BewerberInnen einen hilfreichen Erfahrungsaustausch in der Bewerbungsphase zu ermöglichen. Bis wir dazu ausreichend eigene erfolgreiche ehemalige SchülerInnen-Kontakte haben, vermitteln wir über andere Organisationen entsprechende Möglichkeiten.
Was hat sich an Ihrer Schule verändert, seit das Thema präsenter geworden ist?
Allein durch die Vorschlagsimpulse ist das Thema regelmäßig für das Kollegium präsent. Mit einem eigenen Logo für das Team der Talentförderung/Stipendienberatung versuchen wir diese Präsenz noch zu steigern.
Viele KollegInnen freuen sich über die regelmäßige Möglichkeit, positiv auffallenden SchülerInnen etwas anbieten zu können. Besonders engagierte SchülerInnen erhalten durch die persönliche Ansprache und Empfehlung besondere Wertschätzung, über die sie sichtlich gerührt sind. Dies wirkt nachhaltig motivierend, auch im Unterricht.
Welchen Tipp können Sie Schulen geben, die dieses Thema voranbringen wollen?
Es lag für unsere Schule nahe, die Stipendienberatung in eine Talentförderung einzubetten, um SchülerInnen, die für Stipendien geeignet sind, auch schon während ihrer Schulzeit zu fördern und zu fordern. Die Talentförderung zeichnet sich durch eine individuelle Begleitung der Talente aus, in der Stipendien ein Instrument der Förderung darstellen.
Eine Stipendienberatung kann jedoch auch schon im Kleinen beginnen. Es ist grundsätzlich wichtig, SchülerInnen zunächst erst einmal über die Möglichkeit von Stipendien aufzuklären und diese in ihr Bewusstsein zu rücken. Dies kann schon durch kurze Informationsveranstaltungen in verschiedenen Klassen erreicht werden. Jede Lehrkraft kann hier bereits im Kleinen beginnen.
Besonders wichtig ist es, die Schulleitung und engagierte LehrerInnen an Bord zu haben, um eine umfassende Stipendienberatung in der Schule zu implementieren. Beim systematischen Aufbau interner Strukturen können auch externe Partner, wie StipendienKultur Ruhr, das NRW-Zentrum für Talentförderung und das NRW-Talentscouting herangezogen werden und hilfreiche Unterstützung bieten.
Welches Angebot der StipendienKultur haben Sie bereits genutzt? Was hat es Ihrer Schule gebracht?
Die Mitglieder des Teams für Talentförderung am FLBK sollen mittelfristig alle einen Überblick über Stipendien erlangen. Dafür ist die Basis-Fortbildung von StipendienKultur Ruhr sehr hilfreich und wurde schon vom Großteil des Teams wahrgenommen. Auch dem Rest des Kollegiums kann mit der Basis-Fortbildung die Möglichkeit geboten werden, einen sehr kompakten Überblick zum Thema Stipendien zu erlangen, um den eigenen Blick für geeignete VorschlagskandidatInnen zu schulen. Besonders der Aspekt, dass Leistungen bei Stipendienbewerbungen im Kontext zu sehen sind, erfordert einiges an Umdenken - weg von den herrschenden Klischees.
Einige Mitglieder des Teams haben auch an der Aufbau-Fortbildung von StipendienKultur Ruhr teilgenommen, um ihr Wissen für die Stipendienberatung weiter auszubauen. Als Ergänzung können auch sehr gut die Fortbildungsmöglichkeiten über das NRW-Zentrum für Talentförderung genutzt werden, welche wir besonders für den Aufbau der schulinternen Talentförderung sehr hilfreich finden.
In Zukunft möchten wir auch das Netzwerk- und Werkstatt-Treffen bei StipendienKultur Ruhr nutzen, um uns zu verbessern, zu vernetzen und auch von Erfahrungen anderer Schulen zu lernen.