Welchen Stellenwert hat das Thema Stipendien an Ihrer Schule?
Stipendien spielten bis vor einigen Jahren an unserer Schule keine Rolle. Sowohl das Kollegium als auch die SchülerInnen hatten die Stipendienkultur als etwas Elitäres verbucht, was für sie als GesamtschülerInnen einer Schule mit einem sehr hohen Anteil an Hauptschulempfehlungen zur fünften Klasse in ihrer eigenen Wahrnehmung nicht weiter in Frage gekommen wäre – oder besser gesagt: Die SchülerInnen sahen sich überhaupt nicht als relevante Zielgruppe für ein Stipendium.
Das hat sich erst durch die Arbeit der Talentscouts an unserer Schule verändert. Stipendien wurden als Möglichkeiten zur Förderung - insbesondere wenn man nicht zur Elite gehört - im Bewusstsein der SchülerInnen und auch im Kollegium verankert.
Dass bei den Bewerbungen nicht in erster Linie schulische Leistungen, sondern die jeweilige Persönlichkeit, soziales Engagement (und das im Kontext der eigenen „Lebensleistung“) im Vordergrund stehen, motiviert nun viele, sich mit dieser Möglichkeit der Förderung auseinanderzusetzen. Da unsere KollegInnen über sechs Jahre eine Klasse und im Anschluss oft auch die Jahrgangsstufe begleiten, kennen sich SchülerInnen und LehrerInnen häufig ohnehin gut. Der Austausch über die Stipendienmöglichkeiten hat das Verhältnis in zahlreichen Fällen noch einmal auf ein neues Level gehievt, da die SchülerInnen zum einen auch auf dieser Ebene die Wertschätzung empfinden und zum anderen ein sehr persönlicher Austausch beim Formulieren der Bewerbung stattfindet.
Wie gehen Sie bei der Ansprache der SchülerInnen und bei der Auswahl der Stipendienprogramme vor? Welche Rolle haben Sie dabei?
Unsere Berufsberatung basiert unter anderem darauf, dass etliche KollegInnen einen genauen Blick auf die SchülerInnen haben und auch deren Lebensumstände im Blick haben. OberstufenschülerInnen, die die individuellen Berufsberatungs- und Orientierungsangebote nutzen, werden von uns sensibel aber nachdrücklich angesprochen und nutzen in der Folge meist einen Beratungstermin. Im Anschluss findet mit Wissen der SchülerInnen ein Austausch zwischen LehrerInnen und Talentscout/Studien- und BerufsberaterInnen statt, in dem auch konkrete Stipendienmöglichkeiten eruiert und in der Folge mit den jeweiligen SchülerInnen auf beiden Ebenen besprochen werden. Nach einem größeren Programmpunkt auf der Lehrerkonferenz und einer kollegiumsinternen Fortbildung in diesem Themenbereich kommen nun verstärkt KollegInnen auf uns zu und schlagen SchülerInnen für eine Stipendienbewerbung vor. Der intensive Austausch ist also elementar für eine sinnvoll etablierte Stipendienkultur.
Wer erstellt bei Ihnen an der Schule die Empfehlungsschreiben und worauf legen Sie dabei besonderen Wert?
Die Empfehlungsschreiben werden an der Werner-von-Siemens-Gesamtschule von den KollegInnen verfasst, die nach Aussage der SchülerInnen diese am besten kennen und über die notwendigen Persönlichkeitsmerkmale und Kompetenzen des Bewerbers urteilen können. Die Ansprache der KollegInnen erfolgt in der Regel direkt über die SchülerInnen, es sei denn, der/die Fach- oder KlassenlehrerIn wendet sich dann an uns und wir unterstützen diese dann in Absprache mit den Talentscouts.
Wie ist ihr Eindruck: Wie selbstständig gehen die SchülerInnen bei der Bewerbung vor?
Die Formulierung „Begleitete Selbstständigkeit“ passt hier vermutlich am besten zum Vorgehen an unserer Schule: Eine hohe Selbstständigkeit ist ja ohnehin per definitionem ein wichtiges Persönlichkeitsmerkmal für eine Bewerbung – unsere Klientel entwickelt diese aber häufig vor allem in der Sicherheit weiter, nicht alleine dazustehen. Dementsprechend stehen wir nicht nur hinsichtlich der zu erfüllenden Formalitäten und Kriterien sondern auch für einen persönlichen Austausch engmaschig zur Verfügung.
Welche Tipps würden Sie anderen Schulen in Bezug auf die Begleitung von Stipendienbewerbungen geben?
Die SchülerInnen fühlen sich bereits sehr wertgeschätzt, wenn sie grundsätzlich für ein Stipendium infrage kommen. Zögert also nicht, auf die SchülerInnen mit Ideen der Stipendien-Förderung zuzugehen. Unsere Erfahrung zeigt, dass auch die SchülerInnen, bei denen es am Ende nicht klappt, ausschließlich Positives aus den Erfahrungen mitnehmen und in der Folge noch viel stärker ihren eigenen Weg verfolgen und wacher für Unterstützungsangebote und deren Inanspruchnahme sind.