Inwieweit spielen Stipendien an Ihrer Schule eine Rolle? Warum halten sie das Thema für wichtig?
Mir wurde erst Ende 2018 bei einer Informationsveranstaltung von StipendienKultur Ruhr bewusst, welche vielfältigen Stipendien-Möglichkeiten es für SchülerInnen an Berufskollegs gibt. Auch die Relevanz des Themas wurde mir dort klar. Für Eltern, die sich im akademischen Bereich auskennen, ist es ein Leichtes ihre Kinder zu unterstützen und sie auf Stipendien hinzuweisen. Kinder aus Familien, deren Eltern keine akademische Ausbildung haben, wissen oft nichts von diesen Möglichkeiten. Dabei sind sie in meinen Augen eigentlich für eben diese gemacht und wir haben daher begonnen, an unserer Schule eine Stipendienkultur aufzubauen.
Wie genau sind Sie dabei vorgegangen?
Ich habe mich zunächst auf das Schülerstipendienprogramm „RuhrTalente“ fokussiert, weil es einfach sehr gut zu unserer Schülerschaft am Berufskolleg passt. Weil ich die Bewerbungsvoraussetzungen nach der Infoveranstaltung noch so präsent hatte, sind mir direkt am nächsten Morgen im Unterricht zwei Schülerinnen aufgefallen, auf die alles zutraf. Und so nahmen die ersten beiden Bewerbungen ihren Lauf.
Zur nächsten Lehrerkonferenz hat unser Schulleiter dann jemanden aus dem Team der „RuhrTalente“ eingeladen, der das Kollegium kurz und knackig über die vielfältigen Möglichkeiten der Förderung durch das Stipendienprogramm für SchülerInnen an Berufskollegs informierte.
In der Zwischenzeit hatte tatsächlich schon eine von zwei Bewerbungen auf ein RuhrTalente-Stipendium Erfolg und ich berichtete den KollegInnen, dass die Unterlagen zu den Anträgen und Stellungnahmen den LehrerInnen keinen großen Aufwand abverlangen.
Die Neugier des Kollegiums war geweckt. Eine ausführliche Infoveranstaltung fand noch vor den Weihnachtsferien für interessierte LehrerInnen und Bildungsgang-KoordinatorInnen statt. Als nächstes werden wir uns eingehender mit der Studienstiftung des deutschen Volkes beschäftigen.
Wie finden Sie denn potenzielle KandidatInnen? Worauf achten Sie dabei?
Am Berufskolleg setzen wir uns als Bildungsgang-KoordinatorInnen zu Beginn des Schuljahres immer zusammen und reden über die erkennbaren Stärken und Schwächen der SchülerInnen. In der Einführungswoche lernen wir die Jugendlichen näher kennen und erfahren mehr über Hobbies, soziales Engagement oder familiäre Konstellationen.
An dieser Stelle kann man sich auch von einigen Stipendien-Mythen verabschieden – z.B. dass an Berufskollegs keine geeigneten KandidatInnen zu finden sind oder dass nur 1er-SchülerInnen und AbsolventInnen mit Vollabitur infrage kommen.
Ganz im Gegenteil: Schaut man sich an, mit welchem Bildungshunger manche SchülerInnen trotz stark eingeschränkter Möglichkeiten einen Bildungsaufstieg anstreben, dann müssten es doch ganz besonders diese Jugendlichen sein, die Unterstützung durch Stipendien erhalten. Das würde sie fördern und ihren Bildungsaufstieg gelingen lassen.
Wie reagieren Ihrer SchülerInnen darauf, wenn Sie ihnen die Idee vorschlagen, mit einem Stipendium gefördert zu werden?
Das war eine erstaunliche Erfahrung. Sowohl die SchülerInnen als auch die Eltern sind zunächst sehr zurückhaltend. Die SchülerInnen glauben gar nicht, dass sie gemeint sein könnten, weil sie sich nicht als besonders befähigt erlebt haben. Die Eltern sind oft trotz niedriger Einkommen sehr bescheiden und sagen, dass es doch vielleicht andere gäbe, die ein Stipendium nötiger hätten oder eher verdient hätten. Ist das Stipendium einmal bewilligt, ist die Freude groß und die Jugendlichen und die Eltern sind sehr stolz. Sie empfinden es als Auszeichnung.
Wie gehen Sie dabei vor, wenn Sie jemanden im Bewerbungsprozess begleiten?
Zunächst einmal schaue ich, ob die Vorgaben, die das Stipendium vorgibt, erfüllt werden können. Seien es die familiären Verhältnisse, das ehrenamtliche Engagement, die schulische Leistung oder eventuelle Einschränkungen des sozialen Umfelds. Dann spreche ich die Jugendlichen an und frage sie, wie sie sich ihre schulische oder berufliche Zukunft vorstellen und was sie gerne erreichen möchten. Mit dem Vorschlag, sich für ein Stipendium zu bewerben, verbinde ich dann auch den Hinweis, dass ich ganz und gar vom Gelingen ihrer schulischen oder beruflichen Pläne überzeugt bin.
Bisher habe ich es dann so erlebt, dass die SchülerInnen mit großem Engagement ihre Unterlagen zusammengestellt haben und mit jedem Schritt im Prozess zur Bewerbungsfrist selbstbewusster wurden. Auch nach Erhalt des Stipendiums bleibe ich an ihrer Seite und frage nach Terminen, nach besuchten Veranstaltungen und nach Fortschritten. Darüber berichten die Jugendlichen voller Stolz und ich kann spüren, wie beispielweise die neugeknüpften Kontakte sie voranbringen.
Wie gehen Sie mit Fehlschlägen um?
Wurden BewerberInnen mal nicht berücksichtigt, weiß ich meist auch, woran es gelegen hat und ärgere mich nicht darüber. Denn ein Fehlschlag kann es ja niemals sein. SchülerInnen, die spüren, dass eine Lehrperson durch die Stipendienempfehlung ihre Einsatzbereitschaft, ihren Intellekt und ihr Engagement so sehr wertschätzt, erhalten dadurch großen Auftrieb. Das ist wie bei einer Oscar-Nominierung, erkläre ich den SchülerInnen. Nicht jeder kann einen bekommen, aber es ist auch schon eine Auszeichnung, vorgeschlagen zu werden. Viele Jugendliche bekommen an dieser Stelle erstmals die Aufmerksamkeit, die sie so dringend benötigen.
Ich kann nur dazu ermuntern, es immer wieder mit neuen Vorschlägen zu versuchen. Man hält damit das Lebensglück eines Menschen in der Hand. Und wenn es zwei von vier vorgeschlagenen SchülerInnen in ein Stipendium schaffen, dann hat das für diese zwei jungen Menschen so viel bewirkt. Es wird für sie ihren ganzen Lebensweg verändern.