Nadine Hansen – Lehrerin an der Lise-Meitner-Gesamtschule in Duisburg

Welche Rolle spielen Stipendien an Ihrer Schule und inwieweit finden Sie Stipendien wichtig?

Die Stipendienkultur ist aus dem großen Bereich der Kulturarbeit an der Lise-Meitner-Gesamtschule erwach-sen. Die Kultur umfasst zum einen den eigenen Lebensraum und zum anderen ein wörtliches Selbstverständnis der eigenen Person. Die Stipendien spielen an unserer Schule eine verbindende Rolle dieser komplexen Berei-che. Als Teil des Ruhrgebiets konnte mit der Stipendienarbeit eine Aktivität im Stadtteil begonnen werden, die Selbstbewusstsein und Teilhabe miteinander verbindet. Die Schule ist immer stärker auch als Lebensraum zu verstehen, in dem wir junge Menschen ermutigen. SchülerInnen. Als Gesamtschule wollen wir eben die Ge-samtheit unserer SchülerInnen individuell fördern. Diese Aufgabe ist für das Leitbild der Lise-Meitner-Gesamtschule wesentlich. In der Oberstufe nehmen wir am Talentscouting teil und haben im Blick, dass in zwei Jahren die ersten SchülerInnen, die bereits in der Sek I RuhrTalente waren, dann auch in der Oberstufe am Talentscouting teilnehmen können. Die SchülerInnen wissen das bereits und haben diese weitere Förderung für sich im Blick. Bezüglich der Stipendien, werden dort Stipendienbewerbungen für das Studium vorbereitet. Wir melden selbst jährlich SchülerInnen bei der Studienstiftung des Deutschen Volkes. 

Haben Sie die Vorschlags- und Empfehlungskultur systematisiert?

Als Koordinatorin der Talentförderung an der Lise-Meitner-Gesamtschule bilde ich die Schnittstellen zwischen den SchülerInnen, den LehrerInnen und der Schulleitung. Zum einen kann ich in dieser Funktion die Ansprechpartnerin für alle Beteiligten sein. Besonders für die SchülerInnen ab der 8. Klasse ist dazu eine wöchentliche Sprechstunde eingerichtet worden. Nach dem Prinzip der offenen Tür bin ich initiativ ansprechbar und lade auch gern zur Sprechstunde ein, wenn etwa KollegInnen mir SchülerInnen genannt haben. Für dieses System ist die Transparenz der Talentförderung im Schulleben besonders wichtig. Die Schulhomepage als Informationsmedium sowie die Aushänge zur Sprechstunde in den Klassenräumen sind sowohl für SchülerInnen als auch für Eltern hilfreich.
Zum anderen konnte die Vorschlags- und Empfehlungskultur in den Jahresplan der schulischen Arbeit integriert werden. Meine Arbeit als Koordinatorin der Talentförderung ist eng verbunden mit der Berufsberatung. In der Zusammenarbeit mit der Abteilungsleitung finden in der 9. und 10. Klasse Zukunftskonferenzen statt, in denen die Abteilungsleitung, die Klassenleitung, die BerufskoordinatorInnen und die Talentförderung gemeinsam über alle SchülerInnen des Jahrgangs sprechen. Auch während der Laufbahnkonferenzen ist die Talentförderung als Tagesordnungspunkt vorgesehen, sodass ein Austausch über vorzuschlagende Talente mehrfach im Jahr systematisch stattfindet.

Wie finden Sie die KandidatInnen?

Der persönliche Kontakt auf verschiedenen Ebenen ist das Wichtigste für die Arbeit der Talentförderung. Wir begleiten den Bildungsweg zahlreicher SchülerInnen über viele Jahre hinweg. Die Vernetzung zwischen der Talentförderung und den Klassenleitungen sowie den FachlehrerInnen ist ausschlaggebend, um die Talente zu entdecken. An der Lise-Meitner-Gesamtschule definieren wir Talente im Zusammenhang mit den einzelnen Biographien der SchülerInnen. Als Kollegium erleben wir die soziale Haltung und die Teilhabe am Schulleben sowie persönliche Motivation und Leistungsbereitschaft vieler junger Menschen aus sehr vielfältigen Perspektiven. Wir sind froh über diese Wahrnehmungen, sodass das Finden von KandidatInnen eine Gemeinschaftsaufgabe ist.

Wie sind die Reaktionen Ihrer SchülerInnen, wenn Sie ihnen die Idee vorschlagen, mit einem Stipendium gefördert zu werden?

Meist ist bereits der Vorschlag, zu den KandidatInnen für eine Bewerbung bei den RuhrTalenten zu gehören, eine anerkannte Wertschätzung. Viele SchülerInnen haben sich selbst nie als potentielle StipendiatInnen wahrgenommen und freuen sich, dass wir sie gesehen haben. Auch viele Familien der SchülerInnen reagieren erfreut und stolz. Unsere BewerberInnen wissen, dass sie den Weg ins Bewerbungsverfahren nicht allein gehen: kurzfristige Absprachen, Beratungstermine und Übungsrunden für das Bewerbungsgespräch gehören als Angebote in das Schulleben der KandidatInnen.

Wie gehen Sie dabei vor, jemanden aktiv zu begleiten?

Die Begleitung beginnt direkt nach dem Vorschlag an die SchülerInnen, sich bei den RuhrTalenten zu bewerben. Alle möglichen KandidatInnen erfahren in einer Infoveranstaltung, was überhaupt ein Stipendium ist und wie speziell die RuhrTalente arbeiten. Es ist wichtig, dass die SchülerInnen dann Zeit haben, um zu Hause von der Idee zu erzählen und selbst über mögliche Bewerbung nachzudenken. Individuelle Beratungsgespräche während der Sprechstunde für Talentförderung unterstützen den weiteren Prozess. Wir überprüfen die Bewerbungsunterlagen, üben ggf. für Bewerbungsgespräche und drücken alle zusammen die Daumen. Innerhalb dieser Begleitung entwickelt sich eine gemeinschaftliche Stimmung.

Wie gehen Sie mit Fehlschlägen um?

In der Talentförderung der Lise-Meitner-Gesamtschule gibt es Umleitungen, aber keine Fehlschläge. Das bedeutet, dass die aktive Betreuung der SchülerInnen weitergeht, denn sie sind in Bewegung und wir loten gemeinsam aus, in welche Richtung sie als Nächstes aktiv sein wollen. An dieser Stelle schauen wir uns beispielsweise Workshop-Angebote an oder planen künftige Stipendienbewerbungen, auf die wir gemeinsam hinarbeiten.

Was hat sich an Ihrer Institution/Schule verändert, seit das Thema Stipendien präsenter geworden ist?

Wir haben die Gelegenheit ergriffen, gute Leistungen sichtbarer zu machen. Das Zusammenspiel von sozialem Engagement und Leistungsbereitschaft haben dabei einen Stellenwert, von dem auch die Schulkultur immer wieder profitiert. Es ist der Gedankenanstoß, der von den SchülerInnen untereinander losgetreten wird, wenn sie sich erzählen, was sie im Rahmen des Stipendiums erleben. Es kommt vermehrt dazu, sich selbst als mögliche/r StipendiatIn wahrzunehmen. Und auch den LehrerInnen ist es ein Anliegen, der sozialen und intellektuellen Leistungsspitze einen offiziellen Raum der Anerkennung und Förderung zu geben.   

Welchen Tipp können Sie Schulen geben, die dieses Thema voranbringen wollen?

Wer erst einmal angefangen hat, ist einen Schritt nach vorn gegangen. Um diesen Weg dann weiterzugehen, sind Gespräche wichtig. Nur wer artikuliert, welche Ideen es gibt und was es zur Umsetzung bedarf, hat die Chance auf Unterstützung. Wer in den Gesprächen zuhört, kann bemerken, wie viele gute Ideen zur Talentförderung schon vorhanden sind. Viele SchülerInnen werden sich über neue Chancen freuen und hier gilt für die ganze Schule, dass es in der Talentförderung keine Fehlschläge geben kann.